Am 8. März 2018 hat Manfred Spitzer, ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, ein Interview im Deutschlandfunk gegeben, das seitdem viele Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, verärgert und bewegt. Spitzer stellt darin einige Behauptungen dazu auf, was der Mediengebrauch mit Kindern und Jugendlichen langfristig macht – und stößt dabei nicht das erste Mal auf Kritik in wissenschaftlichen Fachkreisen als auch auf Unverständnis vonseiten vieler Medienschaffenden. Paul Rögler, BDKJ-Diözesanleiter in der Erzdiözese Freiburg, antwortet Spitzer in diesem offenen Brief auf dessen Thesen.
Sehr geehrter Herr Spitzer,
Sie haben im Deutschlandfunk ein Interview gegeben, in dem Sie den Einsatz digitaler Medien in Schulen verteufeln und mit teilweise hanebüchenen Argumenten arbeiten. Ich wäre beim Frühstück ein paar Mal fast in die Luft gegangen. Deswegen muss ich auf dieses Interview reagieren.
Dazu möchte ich auf einige Ihrer Aussagen eingehen.
„[In der Grundschule] kann man irgendwelchen Quatsch auf Computern machen und niemand lernt dabei.“ (Spitzer, DLF, 8.3.2018)
Ja, man kann Quatsch an Computern machen, bei dem niemand etwas lernt. Man kann aber auch mit Computern lernen und genau das ist unsere Verantwortung. Grundschüler*innen das zu verweigern wäre fahrlässig. Sicherlich muss in der Grundschule einiges auf der Anwendungsebene bleiben und die Formalisierung und Systematisierung folgt erst an der weiterführenden Schule. Aber das ist übliches Vorgehen in Bildungsplänen. Oder wollen Sie Kindern künftig in der Grundschule auch Dreiecke vorenthalten, weil sie noch keine Trigonometrie beherrschen?
„13-Jährige fühlen sich durch das Smartphone überfordert und verlieren die Kontrolle über das Smartphone.“ (Spitzer, DLF, 8.3.2018)
Dieses Problem lösen wir nicht, indem wir Smartphones aus Schulen und pädagogischen Kontexten heraushalten. Die Konsequenz dieses Befundes kann nur lauten: Mehr Medienbildung. Mehr Smartphones in den Schulen. Schüler*innen müssen lernen, mit „neuen“ Medien und ihren Potenzialen umzugehen. Dabei geht es nicht nur um die Technik: Medienkompetenz ist hier auch Sozialkompetenz. Sie benennen ein wichtiges Problem. Aber das, was Sie als Lösung anbieten, ist keine. Wer Jugendliche mit digitalen Medien allein lässt, hilft ihnen nicht. Genau das sorgt für Überforderung.
„Über den Bildschirm flattert jeder Blödsinn; bei Büchern bin ich mir halbwegs sicher, dass das stimmt, was da drinsteht.“ (Spitzer, DLF, 8.3.2018)
Im Ernst? Glauben Sie das wirklich? Schon längst ist die Qualität des Inhalts unabhängig vom Medium, über das er verbreitet wird. Der Wikipedia wird in Studien ein vergleichbares Niveau mit der Encyclopædia Britannica und besser als dem Brockhaus bescheinigt. Fast alle bedeutenden Zeitungen publizieren sowohl online als auch offline. Promotionen und Habilitationen werden vermehrt ausschließlich online publiziert.
Wir brauchen die Fähigkeit zur Quellenkritik. Egal ob online oder in Papierform: Wer sich nicht die Fragen stellt „Wer ist die Autorin? Welche Interessen hat sie? In welchem Kontext wurde das veröffentlicht?“, der wird sich zwangsläufig irgendwann fehlinformieren. Sie machen hier das Gegenteil dessen, was wichtig ist: Sie empfehlen unreflektiertes Vertrauen in Bücher und unreflektiertes Misstrauen in digitale Quellen. Das ist schädlich.
„Wenn ihr googlet oder wenn ihr mit PowerPoint ein Referat haltet, kriegt ihr eine Eins und sonst nur eine Zwei.“ (Spitzer, DLF, 8.3.2018)
Das ist eine unverschämte Unterstellung den Lehrkräften gegenüber. Die Lehrer*innen an der Schule sind in vielen Fällen für einen Unterricht im digitalen Zeitalter unzureichend ausgebildet. Das mache ich nicht den Lehrkräften zum Vorwurf, sondern dem Ausbildungssystem. Ich weiß wovon ich spreche, ich habe selbst Grundschullehramt studiert und habe nur deshalb einen Zugang zu diesem Themenbereich bekommen, weil es an meiner Hochschule in meinem Fachbereich einige Lehrende gab, die mit viel Engagement und persönlichem Einsatz das Thema vorangetrieben haben.
Und trotz dieser Ausbildung leisten viele Lehrer*innen Unglaubliches in der Medienbildung. Dafür gebührt ihnen unser Dank und unsere Anerkennung statt haltloser pauschaler Vorwürfe, sie würden aufgrund anderer als fachlicher Kriterien bewerten.
Übrigens: Wenn Sie fordern, motorische Fähigkeiten nicht zu vernachlässigen („Dinge anfassen“; „Fingerspiele“), dann haben Sie damit recht. Es ist aber möglich, das eine zu tun ohne das andere zu lassen. Ich kann in einem Moment am Computer arbeiten und anschließend in den Wald gehen. Da lade ich Sie gern in die katholischen Jugendverbände ein: Bei uns gelingt es, beides zu leben. Ich habe mir in meiner Jugend in meiner KSJ-Stadtgruppe auf Zeltlagern blutige Knie geholt und ein Internet-Forum für die Stadtgruppe aufgesetzt. Ich habe Freundschaftsbändchen knüpfen gelernt und danach am Laptop die Lagerzeitung gesetzt. Ich habe Wasserschlachten gemacht und mit Photoshop an neuen Grafiken für die Homepage gebastelt. Zu behaupten, dass das Eine automatisch zum Verlust des Anderen führt ist schlicht unseriös. Und das können wir uns in dieser wichtigen Zukunftsdebatte nicht leisten!
Apropos Zukunft: Ich werde den Eindruck nicht los, dass es bei all dieser sogenannten „Technologiekritik“ nicht um einen kritischen (und damit konstruktiven) Blick auf die Technologie geht. Es drängt sich der Verdacht auf, es gehe um eine Verhinderung neuer Technologien. Das klingt nach Angst vor Veränderung. Angst aber ist ein schlechter Ratgeber, wie wir gerade in vielen politischen Debatten merken.
Ich bin davon überzeugt, dass die Zukunft viel Positives bringt. Uns stehen Herausforderungen bevor, die wir meistern müssen. Herausforderungen meistert man aber nicht mit Angst, sondern mit Mut. Und diesen Mut für die Zukunft, den wünsche ich Ihnen.
Bitte „behindern“ Sie nicht die Zukunft: Lassen Sie uns gemeinsam die Zukunft gestalten.
Mit freundlichen Grüßen,
Paul Rögler
Kleine Fortführung : Wer immer nur auf dem Stuhl sitzt, lernt nicht gehen. Wer immer nur einen LöffEl bekommt, lernt nicht mit Messer und Gabel zu essen
Ich finde es schon interesant was dieser Mann so von sich gibt…und das meine ich NICHT possitiv!
vor allem weil er :
1. dass Spitzer regelmäßig Korrelationen zu Kausalzusammenhängen umdeutet; dass er Studien höchst selektiv zitiert und immer das weglässt, was nicht zu seinen Thesen passt.
2. dass er ständig absurde, auf Angsterzeugung zugeschnittene Analogien wie den Vergleich von Röntgenstrahlen und digitalen Medien benutzt.
3.dass er, wie viele andere auch, so tut als sei „Sucht“ im Zusammenhang mit Medien eine allgemein akzeptierte wissenschaftliche Kategorie.
4.und vor allem, dass er mit der von ihm selbst und seinem Verlag stets prominent platzierten Berufsbezeichnung „Hirnforscher und Psychiater“ suggeriert, bei seinen Werken handele es sich nicht etwa um Meinungsbeiträge, sondern um wissenschaftlich gesicherte Fakten.
Aber warum ist er so erfolgreich ..vielleicht deshalb :
Früher war alles besser, und zwar schon immer
Mit anderen Worten: Er holt viele Leser vermutlich genau da ab, wo sie gerade sind. Viele fühlen sich von der rapiden Veränderung, der die Welt seit den späten Achtzigern unterliegt, überfordert. Viele finden, so wie schon immer, die Jugend von heute gefühllos, zu anspruchsvoll, narzisstisch und ein bisschen doof. Viele haben irgendwie das Gefühl, dass früher doch alles besser war. All diesen Menschen spricht Spitzer mit seinen Büchern aus der Seele, mehr noch: Er gibt ihnen das Gefühl, Recht zu haben: „Das zeigen (meine) Studien.“
Allein das Zitat zum Bild ist eine bodenlose Frechheit gegenüber Menschen mit Behinderung
und gegenüber allen Frauen und Männer, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen,
anderen Leuten den Dreck wegzuputzen.