Don’t worry bout me, no no, don’t worry bout me, no
And I’m in no hurry, no no no, I know where to go.
California, preaching on the burning shore
California, I’ll be knocking on the golden door
Like an angel, standing in a shaft of light
Rising up to paradise, I know I’m gonna shine
1977 hat John Perry Barlow für die „Grateful Dead“ „Estimated Prophet“ geschrieben, wie so viele der Songs der großen Psychedelic-Rock-Band. Ein geschätzter, nicht nur eingeschätzter Prophet ist Barlow, der am Mittwoch (07.02.) im Alter von 70 Jahren gestorben ist, selbst geworden – nicht nur als Texter, nicht nur bei Deadheads.
Barlow war ein Pionier des freien Netzes. Seine „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“ setzte er 1996 gegen die Versuche, das Internet immer mehr einzuhegen, zu kommerzialisieren, zu zensieren und zu regulieren. „Regierungen der industriellen Welt, ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes“, beginnt die Erklärung, geschrieben in Davos beim Weltwirtschaftsforum, dort, wo sich die Vertreter der müden Giganten und der alten Welt trafen, wie Blinde von der Sonne vom Netz sprachen, während Bill Clinton die Telekommunikationsbehörde ermächtigte, Inhalte im Netz zu regulieren. Zu einer Zeit, als Dienste wie AOL schon das Ende des anarchischen Netzes als ausgemachte Sache sahen, machte er sich als oberster Anarch zum Sprecher des Cyberspace: „Im Namen der Zukunft bitte ich euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Lasst uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht willkommen. Ihr habt keine Macht mehr, wo wir uns versammeln.“
Barlows Unabhängigkeitserklärung fand ein größeres Publikum als es das Weltwirtschaftsforum bieten konnte: Rasch tauchten zehntausende Kopien im Netz auf. Heute liest sich sein Manifest anders als vor über 20 Jahren: Die Begeisterung an der Freiheit und Anarchie des völlig unregulierten Netzes ist uns schal geworden. Doch wenn man dann liest, wie er damals schon Deutschland in eine Reihe mit China, Frankreich, Russland, Singapur, Italien und den USA stellt als Staaten die „Wachposten an den Grenzen des Cyberspace postieren“, lange bevor „Zensursula“ und Vorratsdatenspeicherung und NetzDG diskutiert wurden, dann sieht man, wie klar Barlow damals sah.
Wenn er schreibt, dass die „Goldene Regel“ „das einzige Gesetz ist, das alle unsere entstehenden Kulturen grundsätzlich anerkennen werden“, klingt das heute angesichts von „Fake News“ und Hate speech wie ein Blick in eine bessere, optimistischere Vergangenheit, die es wohl niemals gab. Aber er stellt damals schon Kultur, Ethik, ungeschriebene Regeln, kurz: einen Gesellschaftsvertrag statt Repression, als die bessere Lösung dar – lange bevor Papst Franziskus die Kunst und Tugend der Unterscheidung als eigentliche Lösung zur Zivilisierung des Öffentlichen proklamierte.
Wenn Barlow scharf trennt zwischen dem Körperlichen und dem Cyberspace („Es gibt im Cyberspace keine Materie.“), dann wird dieser digitale Dualismus heute antiquiert – längst gibt es nicht mehr „online“ und „offline“, scharf geschieden, sondern digitale Lebenswelten, eine Kultur der Digitalität. Aber er benennt auch klar, dass die Politik der Knappheit, die aus der Materialität entspringt, nicht alles sein kann, was die Regeln unseres Zusammenlebens bestimmen kann, und die Knappheit einfach zu digitalisieren die digitale Lebenswelt kolonialisiert mit alten, überkommenen Machtstrukturen: „Eure Rechtsvorstellungen von Eigentum, Redefreiheit, Persönlichkeit, Freizügigkeit und Kontext treffen auf uns nicht zu.“
Vielleicht ist all das Reflex der religiösen Prägung aus Barlows Jugend: Fromm mormonisch wurde er erzogen, im Geist jener amerikanischsten aller Religionen, die so jung ist und doch, nicht angekränkelt vom pessimistischen Menschenbild der Erbsündelehre, die alte optimistische Häresie des Pelagianismus neu entdeckt und verinnerlicht hat, dass der Mensch nämlich gut geschaffen, zum Guten aus sich selbst heraus begabt und in der Lage ist, sich selbst zu erschaffen und zu erlösen. Und natürlich: Unglaublich missionarisch, unglaublich geschäftig. Barlow nannte sich selbst einen „Jack Mormon“, das mormonische Pendant zum „lapsed Catholic“, dem Kulturkatholiken: Nicht praktizierend, aber doch mit Sympathie auf den Glauben blickend. „Big heart, no underwear.“
Naiv jedenfalls war Barlow damals, 1996, nicht. Da gab es schon sechs Jahre lang die von ihm gegründete „Electronic Frontier Foundation“, eine der ersten netzpolitischen Bürgerrechtsorganisationen; der Kampf gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten, die „offline“ mühsam erkämpft wurden und „online“ nicht mehr zu gelten schienen, war damals bereits in vollem Gang. Die Unabhängigkeitserklärung mag grandios und naiv und optimistisch sein – aber das hatte Methode: „Ich wusste, dass man die Zukunft erfinden kann, indem man sie vorhersagt“, zitiert die heutige EFF-Chefin Cindy Cohn Barlow in ihrem Nachruf: „Und deshalb habe ich Utopia vorhergesagt in der Hoffnung, der Freiheit einen Vorsprung zu geben, bevor die Gesetze von Moore und Metcalfe das erschufen, was Edward Snowden heute ’schlüsselfertigen Totalitarismus’ nennt.“
„Unsere Welt ist anders“, hat Barlow 1996 geschrieben, „unsere Welt ist überall und nirgends, und sie ist nicht dort, wo Körper leben.“ – denn wir haben hie keine bleibende Statt/sondern die zukünftige suchen wir, will man mit Brahms dazu die Worte aus dem Hebräerbrief ergänzen – oder mit den Grateful Dead die von John Perry Barlow:
Like an angel, standing in a shaft of light
Rising up to paradise, I know I’m gonna shine […]
My time coming, anyday, don’t worry bout me, no
It’s gonna be just like they say, them voices tell me so
Seems so long I felt this way and time sure passin slow
My time coming, anyday, don’t worry about me, no
2 Gedanken zu „Estimated Prophet, Jack Mormon – Zum Tod von John Perry Barlow“