13- bis 18-Jährige verbringen täglich 86 Minuten online. 122 Minuten werden mit Kommunikation auf Messenger-Apps wie WhatsApp verbracht. Aber nur vereinzelt findet man spirituelle Angebote auf den Online-Plattformen in deutscher Sprache.
In seinem in der Minibörse veröffentlichten Beitrag beschäftigt sich Dennis Papirowsk mit den Anforderungen an spirituelle Formate für eine junge Zielgruppe – weshalb wir den Beitrag dank seiner Genehmigung hier noch einmal veröffentlichen möchten.
Welche Chancen bietet das Netz, um Glauben weiterzutragen?
1. Der Nutzer steht im Mittelpunkt
Die tägliche Arbeit des Format-Entwicklers – insbesondere für Online-Angebote – beginnt mit dem User selbst. Er ist der Menschen hinter all den Zahlen, die einem das Netz täglich entgegenwirft. Nur so können die unvorstellbaren Dimensionen der Online-Plattform verständlich und vor allem nutzbar gemacht werden. Was bedeutet es, dass 1,5 Milliarden eingeloggte Nutzer monatlich YouTube als Anlaufstelle für Videoinhalte nutzen? Oder Facebook sogar mit zwei Milliarden monatlichen Nutzern darüber thront?
Die Beantwortung der folgenden Frage ist wichtiger, als die genannten Plattform als Selbstzweck zu begreifen: Wer entscheidet sich warum und in welcher Situation, eine App zu nutzen? Der nutzerzentrische Blick geht vom Einzelnen oder zumindest der einzelnen Gruppe aus und setzt die sich immer neu überbietenden Zahlen in den richtigen Kontext.
Schauen wir uns zum Beispiel die Gruppe der 13- bis 18-Jährigen an, also die Altersgruppe vieler Ministrantinnen und Ministranten. Wöchentlich nutzen 79 Prozent der Altersgruppe regelmäßig Videoportale, 70 Prozent sind auf Facebook aktiv. Ganze 92 Prozent nutzen WhatsApp zur Kommunikation. Dabei sind ihnen Werte wie Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und religiöse Toleranz wichtig.
Diese Altersgruppe ist also nicht nur regelmäßig online, sondern nutzt mehrere Angebote gleichzeitig aus verschiedenen Gründen. Während die entsprechenden Jugendlichen YouTube bewusst als Videoplattform aufrufen, nutzen sie Facebook, um sich zu zerstreuen und zu sehen, was ihre Freunde Neues gepostet haben. Oftmals nutzen sie diese Onlineangebote in einer Wartesituation und konsumieren entsprechend eher kürze Inhalte. Für Längeres ist abends auf dem Sofa Zeit. Dort, in der Primetime ab 20 Uhr, genießen die „klassischen Medien“ längst nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit der Nutzer. Paralleler Medienkonsum führt dazu, dass nicht immer klar ist, welches Endgerät – ob Handy, Tablet, Laptop oder Smart-TV – denn nun ihr “First” oder “Second Screen” ist.
All diese Überlegungen sollten mit einfließen, wenn spannende inhaltliche Angebote für eine Zielgruppe entwickelt werden sollen, die sich zwar regelmäßig in den sozialen Netzwerken bewegt, aber deren Aufmerksamkeitsspanne oftmals nicht länger als ein paar Sekunden dauert. So werden in der Formatentwicklung zu Beginn immer drei Fragen abgeklopft, um sich auf die Reise zu einem neuen Format zu machen:
- Auf welcher Plattform bewegt sich die Zielgruppe?
- In welcher Situation befindet sich die Zielgruppe bei der Nutzung?
- Welchen Mehrwert kann ich der Zielgruppe auf der Plattform bieten?
2. Exkurs YouTube
Gerade YouTube hat als reine Videoplattform nicht nur in der Zielgruppe der 13- bis 18-Jährigen eine herausragende Bedeutung. Um hier spannende und erfolgreiche Inhalte zu entwickeln, lohnt es sich, die kreativen Erfolgskriterien zu kennen und zu verstehen. Hierbei hilft ein Blick über den großen Teich in die USA, wo spirituelle Videoangebote anders als in Deutschland bereits seit vielen Jahren selbstverständlich sind. Sicherlich lassen sich viele Gründe dafür finden, warum der eine YouTube-Kanal ein größeres Publikum erreicht als andere. Exemplarisch wollen wir uns aber auf fünf Punkte konzentrieren: Dialog, Konsistenz, Interaktivität, Tragfähigkeit und Zusammenarbeit.
Dialog ist die direkte Ansprache der Zuschauer durch den Moderator. Dies ist der direkte Blick in die Kamera, wie man ihn aus dem TV nur selten kennt und die Vermittlung des Gefühls, dass sich der Moderator unmittelbar an mich richtet und nicht an eine große anonyme Masse an Zuschauern. Ein guter Moderator wirkt authentisch, nicht hölzern oder aufgesetzt. Er bezieht das Feedback der Zuschauer in den Kommentaren mit ein.
Mit Konsistenz ist ein einheitliches Erscheinungsbild des Kanals und der Videos gemeint, sodass sie einen hohen Wiedererkennungswert entwickeln – eine Eigenschaft, mit deren Hilfe man unter Millionen von Videos herausstechen kann. YouTube bietet dafür mehrere Optionen. So kann das Kanalbanner und ‑logo individualisiert hochgeladen werden, es können benutzerdefinierte Videobilder eingerichtet und ein eigener Kanalname ausgewählt werden. Wie jede Marke sorgt eine starke Corporate Identity für ein einheitliches Erscheinungsbild. Dazu gehören ein Logo, die Farb- und Schriftauswahl, aber auch der Inhalt der Videos selbst. Denn wenn die Videos ähnlich aufgebaut sind, mit einer gleichbleibenden Ansprache und Haltung (nicht zu vergessen mit Humor), dann schafft man gute Gründe dafür, dass Zuschauer gerne zurückkehren.
Soziale Medien – und da macht YouTube keine Ausnahmen – leben davon, dass ihre User teilhaben können an einer Gemeinschaft. Sie tauschen sich aus, treffen sich in den Kommentarspalten der Videos wieder und haben das Gefühl, ein aktiver Teil des Kanals zu sein. Je stärker der Kanal es schafft mit seinen Usern im Austausch zu stehen, desto lieber kehren sie zurück und nehmen rege am Diskurs teil. Dieser Punkt lässt sich als Interaktivität zusammenfassen, was über einen reinen Dialog mit seinem Publikum hinausgeht. So könnten einzelne User und ihre Kommentare aktiv in den Videos angesprochen werden – oder deren Vorschläge und Meinungen können Teil des Formats sein. Formate auf YouTube entwickeln sich regelmäßig weiter und die Meinung seiner Zuschauer einzuholen und zu nutzen, kann eine wichtige Inspirationsquelle sein.
Die letzten beiden Punkte, auf die man beim Aufbau eines erfolgreichen Kanals achten sollte, sind die Tragfähigkeit und die Zusammenarbeit mit anderen Kanälen. Wie lange schafft man es, eine neue Idee am Leben zu halten? Kreativ, finanziell und zeitlich? Ressourcen sind begrenzt und eine tolle Videoidee macht noch keine Serie. Das soll niemanden davon abhalten, sie nicht umzusetzen. Aber falls das Ziel der Aufbau einer größeren Community über einen längeren Zeitraum ist, muss eine Idee über eine ganze Anzahl an Videos hinweg in einer ähnlichen Qualität umsetzbar sein.
Der entscheidende Weg, um einen Kanal einer größeren Anzahl an Zuschauern bekannt zu machen, ist die Zusammenarbeit mit anderen Kanälen. Deswegen empfiehlt es sich, Netzwerk mit anderen Videomachern zu pflegen und zu überlegen, wie man gemeinsam an Videos arbeiten könnte. Oftmals hilft es schon, in den Videos der jeweils anderen aufzutauchen und auf den eigenen Kanal verweisen zu lassen. Man sollte nur sichergehen, dass die Zuschauer des anderen Kanals auch einen Anlass haben, den eigenen Kanal zu besuchen. Sind die Inhalte dort relevant genug?
3. Und mittendrin der Glaube
Auf YouTube Deutschland finden sich aktuell nur wenige Video-Kanäle, die sich mit dem Glauben per se oder dem persönlichen Glauben der Kanalmacher beschäftigen. Wenige Ausnahmen sind der Vlogging-Kanal „Sein Meisterwerk“, der jedoch schon länger nicht mehr aktiv ist, und der Kanal katholisch.de, der ein breites Angebot an unterschiedlichen Videos enthält. In den USA sieht das ganz anders aus. Dort finden sich viele Kanäle, auf denen Videomacher sehr persönlich über ihren Glauben sprechen und so insbesondere für eine jüngere Zielgruppe eine authentische Anlaufstelle für große und alltägliche Fragen rund um den Glauben sind.
Nennenswerte Beispiele sind „Joseph Solomon“, der visuell ansprechende Videos zu Grundfragen des Glaubens, seinen eigenen Erfahrungen und der Bibel produziert. Er spricht dabei direkt in die Kamera, führt einen authentischen Dialog mit seinen Zuschauern und bietet ein abwechslungsreiches Programm mit Poetry Slam und Musik. In eine ähnliche Richtung geht der Kanal “Jon Jorgenson“, der sich ebenfalls auf Augenhöhe mit den Fragen seiner jungen Zielgruppe auseinandersetzt. Ein ganzes anderes Angebot bietet der Kanal „The Bible Project“, welcher sich in kurzen Animationen einmal durch die Bibel arbeitet.
Der Vergleich zwischen den beiden Ländern zeigt, was für eine Chance der Glaube in Deutschland hat, ein junges Publikum in den Sozialen Netzwerken zu erreichen. Hierbei geht es nicht nur um die Vermittlung von grundsätzlichen Glaubensfragen, sondern um eine Ansprache der Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf Augenhöhe, in dem der Glaube im Alltag besprochen wird. Das häufig gebrauchte Wort “Authentizität” ist hierbei Dreh- und Angelpunkt, um eine starke Online-Community aufzubauen. Eine tolle Situation für jeden Formatenwickler, da man sich noch komplett ausprobieren kann. Wie wäre es mit einem “Christlichen Filmreview-Kanal” oder eine Morgensendung, in der die Geschehnisse der Welt aus der Sicht und Haltung des Glaubens kommentiert werden. Es fehlen hierfür nur noch die richtigen Stimmen und Köpfe – das Publikum und die Vorbilder sind bereits seit langem vorhanden.
Dennis Papirowski arbeitete er von 2013 bis 2016 als YouTube Partner Manager für Google in London. Seit März 2016 ist er Geschäftsführer der ZDF Enterprises-Tochter Streamwerke GmbH, die als Online-First Produktionsfirma diverse Social Media Formate entwickelt und produziert. Dieser Artikel erschien zuerst in der „Minibörse“ 4/2017. Die Fachpublikation für Ministrantenpastoral wird von der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz herausgegeben und erscheint im Verlag Haus Altenberg. Wir danken dem Autor und dem Redakteur Markus Frädrich für die Veröffentlichung auf dem BDKJ-Blog.