Wie soziale Medien jungen Pfadis eine internationale Stimme geben

(c) World Scout Conference & World Scout Youth Forum 2017 - Azerbaijan

Dass Pfadfinderinnen und Pfadfinder nicht nur im Unterholz kriechen und jeden Tag eine gute Tat erfüllen, hat sich schon herumgesprochen. Aber dass sie digitale Medien nutzen, um jungen Menschen auf der internationalen Bühne Gehör zu verschaffen? Das passiert zum Beispiel auf der Weltkonferenz der Pfadiverbände.

Globale Antragsdiskussion“ und „Konferenzzentrum mit fünfsprachiger Simultanübersetzung“ klingen der Lebenswelt von Pfadis deutlicher ferner als „Lagerfeuer im Zelt“, „Sommerlager im Kölner Vorort“, „Gemeinschaft unter Gleichaltrigen“. Als Teil der größten weltumspannenden Jugendbewegung können Pfadfinder*innen aber beides. Alle drei Jahre entsenden die Ringe deutscher Pfadfinderinnen- und Pfadfinderverbände Delegationen zu den Mitgliederversammlungen – genannt Weltkonferenzen – der beiden Dachverbände WAGGGS (World Association of Girl Guides and Girl Scouts) und WOSM (World Organization of the Scout Movement).

Papierberge werden digital

Die WOSM-Weltkonferenz, die Anfang August 2017 in Baku/Aserbaidschan stattfand, kann man sich folgendermaßen vorstellen: 1500 Menschen aus fast 170 Ländern und Territorien, die in der Tradition einer UN-Generalversammlung Anträge abstimmen, Komitees wählen, Berichte erhalten und die strategische Entwicklung von ca. 50 Millionen Mitgliedern rund um den Globus bestimmen. Bis vor ein paar Jahren wären in dieser Aufzählung auch noch riesige Papierberge an Diskussionsvorlagen, Wahlkarten und Werbeunterlagen erwähnt gewesen. Aber: Digitalisierung. Jetzt sind es nur noch kleine Papierberge.
Mittendrin die deutsche Delegation: mit 29 Jahren im Durchschnitt unerhört jung und ausgestattet mit einer Armada an Smartphones, Tablets und Laptops. Viel wichtiger als die Geräte ist allerdings das, was darauf installiert ist: Whatsapp, Facebook, Messenger, Snapchat, Skype und Google Drive. Zusammen adressieren die Applikationen zwei der Herausforderungen des Pfadi-Weltverbands – und damit der Weltkonferenz: Mehr junge Leute in die Entscheidungen einer Jugendbewegung einbeziehen; und mehr Menschen mit diversen Hintergründen in Entscheidungen einbeziehen (denn das Format einer Plenumskonferenz ist nicht allen Kulturen gleichermaßen zugänglich).

Soziale Medien verändern die globale Entscheidungskultur

Wer vorangegangene Weltkonferenzdelegationen beeindrucken will, muss nur erzählen, wie gut unsere Generation über digitale, soziale Medien mit hunderten Delegierten auf der Konferenz vernetzt ist. Wo Anträge entwickelt, Plenumsbeiträge gegengecheckt und Menschen ermutigt werden, sich zu Wort zu melden. Die Möglichkeiten der Digitalisierung haben in den letzten Jahren fundamental verändert, wie die Delegierten sich untereinander austauschen, Inhalte erarbeiten und das Geschehen bestimmen: Es ist demokratischer, internationaler und übersichtlicher geworden:

  • Eine WOSM-Weltkonferenz mit Delegierten aus aller Welt ist eine überwältigende Veranstaltung, deren Navigation jede Menge stilles Wissen über Strukturen und Prozesse sowie ein starkes Netzwerk erfordert. Früher musste man sich beides über Jahrzehnte hinweg erarbeiten und pflegen. Das führte dazu, dass eine Jugendbewegung hauptsächlich von Älteren geleitet wurde (zum Kontext: „jung“ geht hier bis 35). Heute sind jüngere Delegierte Teil von selbstorganisierten Whatsapp-Chats, in denen Fragen zur Konferenz in Echtzeit aus dem kollektiven Wissen der Gruppe beantwortet werden. Heute werden Änderungsanträge auf GoogleDrive andiskutiert, um das Selbstbewusstsein zu stärken, das es braucht, um das Geschehen einer globalen Bewegung auf großer Bühne mitzugestalten. Der Zugang zu dem Wissen, den Ressourcen und den Fähigkeiten, die junge Menschen brauchen, um international zu agieren, ist durch soziale Medien demokratischer – und ein Stück weit gemeinschaftlicher – geworden.
  • Wie so oft entwickeln sich Netzwerke meist durch gemeinsame Schnittpunkte: Geografie, Kultur, Sprache, vielleicht eine Verbandspartnerschaft. Das ist zwar praktisch, schränkt aber das Weltbild ein. Selbst auf Weltkonferenzen, an denen sich die globale Gemeinschaft physisch an einem Ort versammelt, beobachtet man nicht selten die Tendenz zur Grüppchenbildung: in Diskussionsgruppen, in informellen Kaffeepausen oder im Rahmenprogramm. Die Facebook-Gruppen, in denen sich die jungen Delegierten organisieren, lassen Entfernungen kleiner wirken. Denn plötzlich ist eine Delegierte aus Curaçao gefühlt genauso weit weg wie ein Delegierter aus Belgien, wenn ich Kontakt aufnehmen möchte. Diese internationale Vernetzung sorgt für eine globalere Perspektive und dafür, dass die Hemmschwelle für Freundschaften aus aller Welt geringer wird. (Ganz abgesehen davon, dass bei allen Sprachdifferenzen Online-Übersetzungsfunktionen nur einen Klick entfernt sind.)
  • Nicht umsonst dauert eine Weltkonferenz fünf Tage: Das Programm ist vollgesteckt mit Berichten, Anträgen und Diskussionen. Da ist es einfach, den Überblick zu verlieren. Die Vernetzung in den sozialen Medien erlaubt es, die Arbeit ein wenig aufzuteilen. Das entlastet vor allem kleine Delegationen, die ansonsten kaum eine Chance haben, alle Themen in Workshops und Kleingruppendiskussionen abzudecken. Gemeinsame Dateiablagen und Kommentarfunktionen erlauben einen Echtzeit-Wissenstransfer zwischen Delegationen.

In ist, wer drin ist

Bei aller Dynamik, die durch die sozialen Medien entsteht, ist auch die WOSM-Welt nicht vor den Nachteilen gefeit: Zum einen zeichnet sich ein gutes soziales Netzwerk dadurch aus, dass alle (relevanten) Menschen der Zielgruppe dort vertreten sind. Datenschutzaspekte spielen bei der Wahl des Anbieters eine untergeordnete Rolle, so dass z.B. Threema-Gruppen im Vergleich zu Whatsapp-Gruppen ein Nischendasein fristen. Zum anderen sorgt die Verlagerung der informellen Kommunikation auf soziale Medien dafür, dass z.B. Facebook-Aussteiger nur noch einen Bruchteil der Informationen (und der humorvollen Unterhaltungen) mitbekommen. Besonders als Jugendverband, der Beteiligung ohne Gruppen- und Anbieterzwang ermöglichen will, stellt WOSM das vor Herausforderungen.

Der Sprung in die Realität: Was bleibt von der Snapchatgruppe?

Irgendwann ist auch die längste Veranstaltung vorbei und die digitale Vernetzung muss sich an ihrer Wirkung in der realen Welt messen lassen. Der Schritt aus der Konferenzblase zeigt, dass die Kontakte der jungen Delegierten darüber hinaus Bestand haben: Gruppen und Chats werden umbenannt und bestehen weiter oder werden zu anderen Anlässen wiederbelebt. Aus Online-Unterhaltungen werden Offline-Freundschaften, die anders vielleicht nicht entstanden wären und oft Jahre überdauern.

Auch im weiteren Sinne lässt sich die Auswirkung der digitalen Vernetzung feststellen: Wenn soziale Medien genutzt werden, um Wissen zugänglich zu machen, um Freundschaften zu ermöglichen und um Aufgaben zu verteilen, dann führt es zu einem Anstieg an Jugendbeteiligung in Gremien – sowohl in der Qualität als auch in der Quantität. Nur wenn viele verschiedene Perspektiven zusammenkommen, kann eine internationale Jugendbewegung Entscheidungen treffen, die die Organisation gemeinsam voranbringen. Soziale Medien können dazu einen Beitrag leisten. Snapchatten für eine bessere Welt sozusagen.

Christine Pollithy ist Bundesbeauftragte für Internationales beim Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP) e.V; der BdP ist Mitglied in den Ringen deutscher Pfadfinderinnen- und Pfadfinderverbände (rdp); dort ist auch die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) organisiert.

Autor: christinepollithy

Bundesbeauftragte für Internationales im Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP); Mitglied in den Pfadi-Weltverbänden World Association of Girl Guides and Girl Scouts (WAGGGS) und World Organization of the Scout Movement (WOSM).

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