Der Vatikan hat das „Instrumentum laboris“, das Arbeitsdokument für die Jugendsynode veröffentlich – auch digitale Lebenswelten spielen darin eine Rolle, wie schon im Bericht der Vorsynode. Wie dort – die Einschätzung des Vorsynodenberichts gab es auch hier im Blog – werden digitale Lebenswelten auch in den Unterlagen für die Synodenväter (und bei den „Vätern“ bleibt es weitgehend) sehr kritisch gesehen.
Leider liegt das Dokument bisher nur auf italienisch vor – die entsprechenden Abschnitte haben wir daher (schon vor einer offiziellen Übersetzung) hier übersetzt (unten im Artikel), damit man sich selbst einen Eindruck verschaffen kann.
Einige Beobachtungen
- Es wird wahrgenommen, dass die Lebenswelten von jungen Menschen, auch von Seminaristen, selbstverständlich digital sind, und dass Jugendliche oft virtuos damit umgehen. So heißt es etwa wohlwollend, dass Jugendliche Potentiale der digitalen Kommunikation nutzen, um zu mobilisieren und politischen Druck auszuüben (Nr. 27).
- Die beiden konkreten Vorschläge der Vorsynode, dass die Kirche sich erstens mit digitalen Lebenswelten im Dialog mit jungen Menschen befassen soll und sich zweitens dem Problem der Pornographie widmen soll, wurden aufgegriffen, der Abschnitt wörtlich zitiert – nur ein Satz wurde ausgelassen: „Die Ergebnisse dieser Überlegungen sollten durch ein Dokument der Kirche offiziell gemacht werden“ – deutet das darauf hin, dass ein lehramtliches Dokument zur Digitalität gar nicht gewünscht ist? (Dabei bräuchte es dringend eine Sozialenzyklika, die für die Digitalisierung das leistet, was Rerum Novarum für die Sozialpolitik angestoßen hat.)
- Es ist anscheinend nicht möglich, positive Beschreibungen der Wirklichkeit aufzuschreiben, ohne sofort ein Horrorszenario folgen zu lassen. Deutlich ist das zum Beispiel in den Abschnitten, die mit „Die Transversalität des digitalen Kontinents“ überschrieben sind. Erst eine sehr positive Darstellung digitaler Lebenswelten (Nr. 34), dann sofort Einsamkeit, Manipulation, Darknet (Nr. 35). Fast schon komisch ist dann, dass dieser Abschnitt mit einer sehr realistischen Einschätzung endet: „Aufgrund von Unwissen und fehlender Ausbildung tun sich Priester und allgemein Erwachsene schwer damit, die neue Sprache zu verstehen und neigen zur Angst.“
- Gelegentlich kommt das Digitale als Nebenbemerkung vor; oft in einer Aufzählung von Problemen (gerne Pornographie, Hedonismus und Vereinsamung, Nr. 52), aber manchmal auch als nützliches Werkzeug (z. B. für die Berufungspastoral, Nr. 134).
- Der Abschnitt zu Arbeit 4.0 nimmt die Erfahrungen Jugendlicher ernst und fordert auf, deren Bedürfnisse hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitswelt ernstzunehmen, etwa wenn es um Teamarbeit, Flexibilität und Vereinbarkeit geht. Gerade kirchliche Arbeitgeber sind da oft noch ziemlich altmodisch.
- Der wichtigste Satz mit Blick auf digitale Lebenswelten: „Dabei ist es noch nicht allen klar, dass soziale Medien und die digitale Welt nicht nur Werkzeuge sind, die für die Pastoral eingesetzt werden können, noch eine virtuelle Realität sind, die der wirklichen entgegenstehen würde, sondern eine Lebenswelt darstellen mit einer eigenen Kultur, die es zu evangelisieren gilt.“
Ausgewählte Übersetzungen
Das Instrumentum laboris liegt bisher nur auf italienisch vor und wurde vom Presseamt des Heiligen Stuhls veröffentlicht. Die Übersetzung hier ist keine offizielle; wo der Bericht der Vorsynode zitiert wird, wurde die Übersetzung von BDKJ und DBK verwendet.
Die Transversalität des digitalen Kontinents (La trasversalità del continente digitale)
Nr. 34 – Es ist offensichtlich, dass digitale und soziale Medien in der Lebenswelt von Jugendlichen allgegenwärtig sind. Das sagen auch die Jugendlichen selbst bei der Vorsynode: „Der Einfluss sozialer Medien („Social Media“) auf das Leben junger Menschen ist nicht zu unterschätzen. Sie sind ein wichtiger Teil der Identität und der Lebensweise junger Menschen. Eine digitale Lebenswelt hat großes Potenzial, Menschen wie nie zuvor über geografische Entfernungen hinweg zu vereinen. Der Austausch von Informationen, Idealen, Werten und gemeinsamen Interessen ist jetzt besser möglich. Der Zugang zu Online-Lernmöglichkeiten hat die Bildungschancen junger Menschen in abgelegenen Gebieten verbessert und ihnen das Wissen der Welt greifbar gemacht.“
Nr. 35 – Das Netz ist auch ein Ort der Einsamkeit, der Manipulation, der Ausbeutung und der Gewalt, bis hin zum Extremfall des „Darknet“. Junge Menschen sind sich der Risiken bewusst: „Die Kehrseite der Technologie wird jedoch offensichtlich, wenn daraus bestimmte Laster entstehen. Diese Gefahr zeigt sich durch Isolation, Faulheit, Trostlosigkeit und Langeweile. Es ist offensichtlich, dass junge Leute auf der ganzen Welt obsessiv Medienprodukte konsumieren. Obwohl wir in einer stark vernetzten Welt leben, beschränkt sich Kommunikation unter jungen Menschen auf diejenigen, die sich ähnlich sind. […] Mit dem Aufkommen der sozialen Medien hat dies zu neuen Herausforderungen geführt.“ Das Ausbildung der Fähigkeit zu sachlicher Auseinandersetzung und pluralistischem Dialog wird dadurch behindert. Das ist eine große pädagogische Herausforderung. Auch die Bischofskonferenzen benennen diese Zweischneidigkeit und betonnen kritische Einschätzungen. Aufgrund von Unwissen und fehlender Ausbildung tun sich Priester und allgemein Erwachsene schwer damit, die neue Sprache zu verstehen und neigen zur Angst. Sie sehen einen „unsichtbaren und allgegenwärtigen Feind“, der von ihnen manchmal verteufelt wird.
Neue Denkarten und die Suche nach der Wahrheit (Nuovi paradigmi conoscitivi e ricerca della verità)
Nr. 54 – Unterschiedliche stark kämpfen viele Länder mit dem Phänomen „Fake News“, der unkontrollierten Verbreitung falscher Nachrichten durch die Medien (nicht nur digitale) und der wachsenden Schwierigkeit, sie von echten zu unterscheiden. In der öffentlichen Debatte scheinen die Wahrheit und Stichhaltigkeit von Argumenten die Überzeugungskraft verloren zu haben. So wurde auch der Begriff „post truth“ („post-verità“) geprägt. Eine Bischofskonferenz betont, dass in „in sozialen Netzen und digitalen Medien keine Hierarchie der Wahrheiten gibt“.
[Jugendliche seien aufgrund ihres Kommunikationsverhaltens von diesen Problemen besonders betroffen und brauchen Begleitung. (Nr. 55) Jugendliche seien auch besonders vom Phänomen der Filterblasen betroffen – aber nicht nur sie:] „Auch Gruppen, Institutionen und kirchliche Vereinigungen laufen Gefahr, zu selbstbezüglichen Kreisen zu werden.“ (Nr. 56.)
Die anthropologischen Auswirkungen der digitalen Welt (Gli effetti antropologici del mondo digitale)
Nr. 57 – Aus anthropologischer Sicht hat das Aufkommen digitaler Technologie weitreichenden Einfluss auf die Vorstellung von Raum und Zeit, auf die Wahrnehmung von sich selbst, anderen und der Welt, und die Art, wie wir kommunizieren, lernen und uns informieren. Ein Zugang zur Wirklichkeit, der das Bild zu Lasten des Zuhören und des Lesens betont, verändert die Art des Lernens und die Entwicklung von Kritikfähigkeit. In der Zukunft wird das auch Fragen aufwerfen hinsichtlich einer Weitergabe des Glaubens, die darauf gründet, das Wort Gottes zu hören und die Heilige Schrift zu lesen. Aus den Antworten der Bischofskonferenzen geht klar hervor, dass sich viele nicht der gegenwärtigen Veränderungen bewusst sind.
Nr. 58 – Eine oberflächliche Nutzung digitaler Medien erhöht das Risiko der Vereinsamung, auch der totalen Isolation – ein Phänomen, das mit dem japanischen Begriff „hikikomori“ bezeichnet wird, das viele Jugendliche, vor allem in asiatischen Ländern, betrifft –, und der Flucht in eine Welt illusorischen und haltlosen Glücks, die abhängig macht. Die Jugendlichen, die an der Vorsynode teilgenommen haben, sind sich dessen bewusst: „Junge Menschen neigen oft dazu, ihr Verhalten in Online- und Offline-Bereiche zu unterteilen. Es ist notwendig, jungen Menschen Bildungsangebote zu unterbreiten, wie sie ihr digitales Leben führen sollten. Online-Beziehungen können unmenschlich werden. Digitale Kontexte machen uns blind für die Verletzlichkeit anderer Menschen und hindern uns bei der Selbstreflexion. Probleme wie Pornographie verzerren die Wahrnehmung junger Menschen hinsichtlich der menschlichen Sexualität. So verwendete Technologie erzeugt eine täuschende Parallelrealität, die die Menschenwürde ignoriert. Andere Risiken umfassen: den Verlust der Identität verbunden mit einer falschen Darstellung der Person, die virtuelle Konstruktion einer Persönlichkeit sowie den Verlust einer bodenständigen sozialen Präsenz. Zu den langfristigen Risiken gehören: der Verlust von Erinnerung, von Kultur und Kreativität, wie es sie vor dem unmittelbaren Zugang zu Informationen gab, sowie ein Verlust der Konzentrationsfähigkeit durch nicht zusammenhängendes Denken. Zusätzlich dazu existiert eine Kultur und Diktatur des äußeren Anscheins.“
Arbeit im Angesicht technischer Innovationen (Il lavoro di fronte all’innovazione tecnologica)
Nr. 154 – Innovation und Verbreitung digitaler und informationstechnischer Prozesse in der Industrie führen zu dem weltweit als „Industrie 4.0“ bekannten Phänomen, das sich auch auf die Arbeitswelt auswirkt. Die christlichen Gemeinschaften müssen sich in ihrem pädagogischen und unterstützendem Engagement mehr mit diesen Aspekten beschäftigen. In einem Umfeld, das von ständigen Veränderungen geprägt ist, in dem es unmöglich abzuschätzen ist, welche Kompetenzen morgen benötigt werden, und in dem die Gefahr besteht, das nicht alle diesen Veränderungen gewachsen sind, besteht die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass alle jungen Menschen ihre Talente ausdrücken können und niemand zurückgelassen oder für nutzlos gehalten wird. Die Ausbildung beruflicher Fähigkeit und die Möglichkeit, einen Sinn aus der Arbeit zu ziehen, muss mit der Geschwindigkeit der Veränderung schritthalten. Junge Menschen können mit ihrem Blickwinkel einen wichtigen Beitrag zur Humanisierung der Arbeitswelt leisten: Kollaboratives Arbeiten, eine Kultur, die Unterschiede respektiert und fruchtbar macht, Teamfähigkeit und Vereinbarkeit von Arbeit und anderen Aspekten des Lebens.
Lernen, in der digitalen Welt zu leben (Imparare ad abitare il mondo digitale)
Nr. 160 – Sowohl die Bischofskonferenzen wie die Vorsynode sehen die Notwendigkeit, sich mit der Frage der Begleitung eines bewussten Einsatzes von digitalen Technologien zu befassen. Dazu hat die Vorsynode einen Weg vorgeschlagen: „Erstens sollte die Kirche, die sich um einen Dialog mit jungen Menschen bemüht, ihr eigenes Verständnis von Technologie erweitern, um uns dabei zu helfen, diese maßvoll zu nutzen. Darüber hinaus sollte Kirche die Technologie – insbesondere das Internet – als fruchtbares Feld für die Evangelisierung ansehen. […] Zweitens sollte die Kirche das weit verbreitete Problem der Pornographie ansprechen, einschließlich des Online-Kindesmissbrauchs und des CyberMobbings und des damit verbundenen Schadens für unsere Menschlichkeit.“
Nr. 161 – Viele Bischofskonferenzen sehen das Potential des Netzes als Hilfsmittel für die Seelsorge und die Berufungspastoral, insbesondere dort, wo die Kirche Schwierigkeiten hat, junge Menschen auf anderen Wegen zu erreichen. In diesem Sinne sollen die Fähigkeiten der „Digital Natives“ auch innerhalb der Kirche genutzt werden. Dabei ist es noch nicht allen klar, dass soziale Medien und die digitale Welt nicht nur Werkzeuge sind, die für die Pastoral eingesetzt werden können, noch eine virtuelle Realität sind, die der wirklichen entgegenstehen würde, sondern eine Lebenswelt darstellen mit einer eigenen Kultur, die es zu evangelisieren gilt. Man denke etwa an die Welt der Videospiele, die in einigen Ländern eine große Herausforderung für die Gesellschaft und die Kirche darstellen, da sie Jugendlichen hin zu fragwürdigen Idealen von Menschlichkeit und Welt formen und zur gewalttätigen Kommunikationsformen führen.